Das Kleine Mädchen und die Eifersucht
Vor
sehr langer Zeit lebte in einem kleinen Dorf in der Nähe des Himmels ein
kleines Mädchen mit ihrem großen Bruder, ihren Eltern und ihrer Großmutter.
Die Eltern des kleinen Mädchens waren reiche, rechtschaffene Leute und
sehr angesehen in dem kleinen Dorf und den Nachbardörfern. Sie galten
allgemein als hilfsbereit und gutherzig. Aber das war nur der äußere Anschein.
Der Bruder des kleinen Mädchens war wie die Eltern sehr beliebt, das ganze
Dorf hielt große Stücke auf ihn. Die Großmutter dagegen war nicht sehr
beliebt ... sie war als Hexe verschrieen, die Leute hatten große Angst
vor ihr. Das kleine Mädchen, war irgendwie unscheinbar ... keiner wusste
genaueres über das kleine Ding ... man sah sie zwar immer im Dorf herumwandern,
aber keiner wusste was ihr Ziel war. Man hörte das kleine Mädchen auch
nie reden ... selbst die Familie hatte noch nie gehört wie das kleine
Mädchen sprach ... selbst als Baby gab sie keinen Laut von sich, sie gluckste
nicht und weinte auch nicht. Im Dorf ging das Gerücht, die Großmutter
hätte das Kind verhext.
Das kleine Mädchen hing sehr an der Großmutter ... die Großmutter mochte
beide Kinder gleichermaßen, während die Eltern nur den Bruder mochten,
er war der Erstgeborene, der Stammhalter.
Eines Tages spielte die kleine mit ihrem Bruder fangen. Sie liefen rund
um den Tisch und der Junge kreischte vor Freude. Die kleine hatte ihren
Bruder gerade erwischt, als dieser sie zur Seite schubste. Das kleine
Mädchen flog gegen den Tisch und der auf dem Tisch stehende Saftkrug fiel
auf den Boden. Die Mutter schimpfte mit dem Mädchen ... sie wurde richtiggehend
wütend auf die kleine ... dabei hatte sie genau gesehen, dass der Junge
seine Schwester geschubst hat. Aber die Mutter ließ auf ihren Sohn genauso
wenig etwas kommen wie der Vater.
Die kleine lief weinend zu ihrer Großmutter und ließ sich trösten. Und
wie immer wusste die Großmutter bereits worum es ging, so als könnte sie
Gedanken lesen oder hellsehen, und nahm das kleine Mädchen tröstend in
den Arm und sprach beruhigend auf sie ein.
Das kleine Mädchen war schnell wieder froh ... die Schokolade die sie
von der Großmutter bekommen hatte trug wesentlich dazu bei. Am nächsten
Tag lief das kleine Mädchen wie immer durch das Dorf, doch dieses mal
blieb sie mitten auf dem Marktplatz stehen und verkündet mit klarer Stimme,
dass sie wünscht, dass ihr Bruder sich zum Teufel schert. Die Dörfler
waren sehr erschrocken und erstaunt. Erschrocken weil ein kleines Mädchen
solche einen üblen Wunsch gegen einen so netten jungen Burschen aussprach
und erstaunt, weil das stumme Mädchen so eine klare Stimme hatte und plötzlich
auch überhaupt nicht mehr stumm war. Nachdem die Dörfler ihren Schrecken
überwunden hatten liefen sie dem kleinen Mädchen hinterher, das sich bereits
wieder auf den Heimweg gemacht hatte. Unterwegs bestürmten sie die kleine
mit unzähligen Fragen, aber das Mädchen schien wieder genauso stumm wie
die ganzen Jahre zuvor auch.
Die Mutter sah zufällig aus dem Fenster als die Kleine heimkam und erblickte
die Dörfler. Zuerst dachte sie, es sei etwas passiert, aber dann dachte
sie dass hier in der Gegend doch nie etwas passierte. Sie öffnete die
Tür und ging ihrer Tochter entgegen. Als sie ihre Tochter erreicht hatte,
schickte sie sie mit barschen Worten ins Haus und fragte die Dörfler was
denn passiert sei. Wie zu erwarten war, riefen die Dörfler aufgeregt durcheinander.
Es war schwer verständliche Worte herauszuhören, aber nach einer guten
Stunde wusste die Mutter was Sache war ... und sie wusste auch, dass ihr
Sohn alles mitangehört hatte und seitdem nicht mehr auffindbar war.
Der Schrecken der Mutter war groß. Sie lief sofort zum Vater aufs Feld
in der Hoffnung den Jungen dort vorzufinden. Leider erfüllte sich ihre
Hoffnung nicht und so erzählte sie ihrem Mann ganz aufgeregt was sich
zugetragen hatte. Der Vater schäumte vor Wut und lief stechenden Schrittes
nach Hause kaum dass die Mutter das letzte Wort ausgesprochen hatte. Sie
lief hinter ihm her so schnell sie konnte.
Kaum zu Hause brüllte der Vater auch schon nach seiner Tochter. Die kleine
trat unerschrocken vor ihren brüllenden Vater und schaute ihm freimütig
ins Gesicht. Der Vater tobte eine halbe Stunde lang und dann schickte
er die kleine weg. Sie sollte ihren Bruder suchen und nicht mehr nach
Hause kommen bis sie ihn wohlbehalten gefunden hat.
Nun schluckte das kleine Mädchen aber doch ... so sehr hatte sie gehofft,
dass nun, da ihr Bruder weg war, sie das Lieblingskind der Eltern wäre.
Statt dessen musste sie feststellen, dass sie ihren Eltern eigentlich
nichts bedeutete ... sie wusste doch nicht wo ihr Bruder hingelaufen war,
zudem fehlte er seit mehreren Stunden. Sie lief weinend aus dem Haus.
Vor dem Haus traf sie die Großmutter. Die Großmutter nahm die kleine in
den Arm und sagte zu ihr ... "Mein armes kleines ... hast du doch
meinen Fluch geerbt ... die Wünsche die du aussprichst gehen in Erfüllung.
Das ist auch der Grund weshalb du stumm bist, denn mit dieser Gabe könntest
du die ganze Welt beherrschen wenn du reden könntest. Ich selbst hatte
diese Gabe, ich nenne es aber lieber Fluch, als Kind auch. Sobald du erwachsen
bist, hört das auf und du bist ein normaler Mensch. Ich weiß nicht warum
du plötzlich sprechen konntest, ich weiß nicht wer da seine Finger im
Spiel hatte, aber du musst den Teufel finden, wenn du deinen Bruder wiederhaben
möchtest. Und nun lauf meine Kleine und beeile dich, jede Sekunde ist
kostbar." Sie schubste die kleine den Weg hinunter.
Das kleine Mädchen lief weinend bis zur Kreuzung, dort ließ sie sich am
Wegesrand nieder und begann über das nachzudenken, was die Großmutter
ihr gesagt hatte. Sie verstand das mit der Gabe und dem Fluch nicht so
ganz und sie hatte auch keine Ahnung wie man den Teufel findet. Fragen
konnte sie ja niemanden. Lange saß sie so da. Langsam wurde es Nacht.
Die kleine kaute gerade gedankenverloren an einem Grashalm als ihr Blick
in den Himmel fiel. Dort hinten da leuchtete ein roter Stern. Lange betrachtete
sie ihn, unschlüssig was er zu bedeuten hatte. Schließlich fasste sie
sich ein Herz und dachte sich irgendwohin muss ich ja gehen. Und da ich
sowieso nicht weiß wo der Teufel wohnt gehe ich doch einfach diesem Stern
nach. Entweder ich hab Glück oder eben nicht. Und während sie noch so
vor sich hindachte stand sie auf. Sie lief bis zum Morgengrauen dem roten
Stern nach bis er nicht mehr zu sehen war, dann rollte sie sich am Wegesrand
zusammen und schlief ein. Sie träumte von ihrem Bruder ... hörte ihn laut
um Hilfe rufen und er sagte, dass sie nicht dem roten Stern nachlaufen
dürfe ... der sei ein Irrlicht. Völlig erschrocken wachte das kleine Mädchen
auf und lief ins nahe Städtchen. Dort bettelte sie bei einer Bäckersfrau
nach einem Stück Brot und etwas Milch. Nachdem sie sich mehr oder weniger
satt gegessen hatte lief sie durch das Städtchen durch. Das Städtchen
war ziemlich groß so dass die kleine weit laufen musste. Völlig erledigt
lief sie an einem windschiefen Häuschen am anderen Ende der Stadt vorbei.
Vor dem Häuschen saß auf einer Bank ein Pfeife rauchendes Väterchen. Mitleidig
schaute er die kleine an und fragte sie was denn mit ihr los sei. Die
kleine beichtete ihm alles, sie schaute ihn an, blickte ihm geradewegs
in die Augen und das alte Väterchen las in ihren Augen die ganze Geschichte.
Er sagte zu ihr "Mach dir keine Sorgen ... ich kann deine Gedanken
lesen. Du musst nicht den Teufel finden, der Teufel ist schon bei dir,
er ist in deinem Herzen ... du musst zu dir selbst finden, das ist das
ganze Geheimnis... dann wird dein Bruder kommen und der Teufel gehen.
Und jetzt geh ins Haus oben auf dem Dachboden ist ein Bett für dich hergerichtet,
schlaf dich aus."
Tatsächlich lief die Kleine ins Haus und legte sich schlafen. Sie schlief
tief und traumlos und wachte Stunden später gut erholt auf. Sie kletterte
flink das Leiterchen hinunter zum dem alten Väterchen. Der wartete schon
mit dem Mittagessen auf sie. Er lies die kleine ganz in Ruhe essen und
nachdem sie den letzten Bissen geschluckt hatte, fragte er sie ob sie
schon wüsste, wie sie den Teufel in sich loswerden würde. Die kleine dachte,
wie soll ich das wissen, ich kenne den Teufel ja nicht, weiß nicht wo
ich ihn finde, geschweige denn wie ich ihn loswerden soll. Und wieder
las das Väterchen die Gedanken des kleinen Mädchens. Er sagte: "Hey
kleines, der Teufel der in dir steckt, ist die Eifersucht. Lass die Eifersucht
sein und lerne zu akzeptieren, dass man im Leben nicht alles haben kann,
dann wirst du zurechtkommen und alles wird sich finden." Das kleine
Mädchen schaute ihn verwundert an und dachte nach. Sehr lange überlegte
sie, wie er das wohl gemeint haben könnte ... sie war doch gar nicht eifersüchtig
auf ihren Bruder. Das Väterchen sagte zu ihr, "du wirst es sehen,
wenn die Zeit reif ist. Wo gehst du jetzt hin?" Die kleine fing an
zu weinen, sie wusste doch gar nicht wo sie hin sollte, nach Hause durfte
sie ja ohne den Bruder nicht kommen. Das Väterchen hatte Mitleid mit der
kleinen, so sagte er zu ihr "Wenn du magst, kannst du gerne bei mir
wohnen bis du weißt wo du hin willst." Die kleine strahlte ihn dankbar
an. Mit jedem Tag gewöhnten sich die beiden mehr aneinander. So gingen
die Wochen ins Land. Das kleine Mädchen blühte sichtlich auf, aber noch
immer redete sie kein Wort, aber das war nicht schlimm, denn das Väterchen
konnte ihre Gedanken lesen ... er las sie mit dem Herzen, eine Gabe, die
nur wenige Menschen besitzen. Zuhause zerfleischte sich der Vater mit
Selbstvorwürfen, weil er sein Kind aus dem Haus getrieben hatte, jeden
Tag wünschte er sich, er hätte es nicht getan. Die Mutter war mit den
Nerven ebenfalls am Ende, ebenso wie dem Vater wurde auch ihr langsam
klar, dass sie sich sehr ungerecht ihren Kindern gegenüber verhalten hatten.
Die Großmutter war vergnügt wie eh und je. Sie war ganz sicher, dass die
beiden bald wohlbehalten zurückkehren würden.
Die Kleine führte dem Väterchen so gut sie es konnte den Haushalt, erzählte
ihm mit ihren Gedanken Geschichten. Aber so wohl sie sich bei dem Väterchen
auch fühlte... es nagte etwas an ihr. Zuerst wusste sie nicht genau, was
es bedeutet, aber es verunsicherte sie. Mit der Zeit allerdings konnte
sie das Gefühl greifen. Sie spürte wie sehr ihr Bruder ihr fehlte und
sie spürte auch, dass sie immer eifersüchtig auf ihn gewesen war. Aber
sie war sich ganz sicher, dass wenn sie mit ihrem Bruder hier wohnen würde,
sie keinen Grund hätte eifersüchtig zu sein. Das alte Väterchen würde
nie einen von ihnen bevorzugen oder lieber mögen. So hing sie tagelang
ihren Gedanken nach und merkte gar nicht, dass das alte Väterchen immer
stiller wurde.
Eines Tages sagte das Väterchen zu ihr "Kleine, meine Zeit ist gekommen,
ich bin alt und mein Werk ist getan". Ich habe dich gelehrt was du
erkennen musstest um den Weg nach Hause zu deinen Eltern zu finden. Geh
nach Hause, sie warten auf dich." Den Rest des Tages schwiegen beide
vor sich hin und legten sich am Abend schlafen. Als die kleine am Morgen
erwachte, war das Väterchen verschwunden. Das Haus war leer, es sah aus,
als wäre es Jahrzehnte nicht bewohnt gewesen. Die Kleine war zunächst
etwas verstört und erinnerte sich dann der Worte, die das Väterchen am
Tag zuvor zu ihr gesagt hatte. Schweren Herzens lief sie nach Hause. Sie
hatte Angst, grübelte die ganze Zeit, wie die Eltern sie wohl empfangen
würden. Sie machte sich Sorgen, dass sie wieder fortgejagt werde sobald
sie zu Hause war. So lief sie den ganzen Tag tief in Gedanken versunken
auf einem Grashalm kauend und merkte gar nicht wie die Zeit verging. Als
es langsam dunkel wurde, legte sie sich an den Wegesrand, rollte sich
zusammen und schlief ein. Am nächsten Morgen erwachte sie frisch und ausgeruht,
es war ein schöner Sommertag. Aber die Sonne konnte sie nicht trösten,
sie war fast zu Hause und mit jedem Schritt wurde ihre Angst größer. Sie
ging immer langsamer. Schließlich kam sie zu der letzten Kreuzung vor
ihrem Zuhause. Dort an dieser Kreuzung saß auf einem Stein ihr Bruder.
Er sah sie kommen und ging ihr freudig rufend entgegen. Die Kleine hörte
ihn rufen und sah überrascht auf. Dann lief sie mit schnellen Schritten
auf ihren Bruder zu. Die beiden fielen sich in die Arme. Der Bruder sagte:
"Da bist du ja endlich, ich warte schon so lange auf dich. Lass uns
nach Hause gehen." Die beiden liefen hand in hand auf das Elternhaus
zu. Der Vater stand grade mit der Sense vor dem Haus und drehte sich um
als er Schritte hörte. Er rief: "Mutter, Großmutter, die Kinder sind
zurück." Und schon war die ganze Familie versammelt und sie lagen
sich weinend in den Armen. Alle riefen sie durcheinander, nur das kleine
Mädchen schwieg und schaute ins Leere. Die Mutter merkte es als erste
und schaute ihr Kind prüfend an. Dann machte sie die Arme auf und sagte:
"Ich hab dich lieb meine kleine." Lachend schmiegte sich die
Kleine in die Arme ihrer Mutter und erzählte ihr in Gedanken alles was
sie erlebt hatte. Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis die fünf sich
wieder aneinander gewöhnen und lernen nicht mehr die gleichen Fehler zu
machen. Aber ein erster Schritt ist gemacht. Und so begann eine schlimme
Geschichte ein gutes Ende zu nehmen.
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