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24.06.2003

Kinderärzte in ADS/ADHS-Netzwerke einbinden

Mit einer Prävalenz zwischen zwei und sechs Prozent zählt die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADS/ADHS) zu den häufigsten chronischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Dass bislang keine flächendeckende bedarfsgerechte Versorgung der Patienten existiert, wird unter anderem auf einen unzureichenden Dialog der mit ADS/ADHS befassten Berufsgruppen zurückgeführt. Experten begrüßen daher, dass der Austausch zwischen Kinder- und Jugendärzten, Kinder- und Jugendpsychiatern und –psychotherapeuten, Psychologen und Pädagogen inzwischen deutlich intensiviert werden konnte. Bereits im Oktober des letzten Jahres wurde bei einer Konferenz des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) das gemeinsame Ziel formuliert, eine qualitätsgesicherte Diagnostik und Therapie der ADS/ADHS zu etablieren.

Hierfür sollen Einrichtungen regionaler und überregionaler Netzwerke, in denen beispielsweise Kinder- und Jugendärzte als „Schaltstellen“ wirken, geschaffen werden.

Die Diagnose ADS/ADHS wird heute im Kontext mit dem klinischen Untersuchungsbefund und einer sorgfältigen Anamnese anhand anerkannter Klassifikationsschemata (ICD-10 oder DSM-IV) gestellt. Auch Säuglinge oder Kleinkinder können erste Anzeichen einer ADS/ADHS zeigen, wobei die Symptome noch unspezifisch sind und individuell variieren. Im Sinne einer verbesserten Frühdiagnose ist es wichtig, diese Kinder zu beobachten und im späteren Verlauf gegebenenfalls eine Verdachtsdiagnose zu formulieren, erklärte Cordula Neuhaus, Diplom-Psychologin, Diplom-Heilpädagogin und Kinderpsychologin aus Esslingen. Dies ist im Rahmen der pädiatrischen Vorsorgeuntersuchungen etwa ab der U7 möglich. Bestätigt sich der Verdacht auf eine ADS/ADHS, ist die sorgfältige Beratung und Information der Eltern wichtig. Wegen der individuellen Unterschiede bei der Symptomausprägung sind einheitliche Therapieempfehlungen kaum möglich. Jede Behandlung sollte die Begabungsstruktur des Kindes und häufig auftretende Komorbiditäten berücksichtigen. Zudem sollten die versorgungsrelevanten Berufsgruppen in die Behandlung einbezogen werden. „Ein Behandlungsziel sollte sein, den Kompetenzerwerb der Patienten dauerhaft zu stärken“, erklärte Dr. Wolfgang Droll, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie aus Berlin. Als wirksame Optionen haben sich das Elterntraining und eine Verhaltenstherapie der Kinder erwiesen. Da bis zu 40% der Kinder mit ADS/ADHS Sprachentwicklungsstörungen aufweisen können, ist eine logopädische Behandlung häufig ratsam; eine Ergotherapie kann bei Kindern mit zusätzlichen Wahrnehmungsstörungen hilfreich sein. Auch bei Patienten im Alter unter sechs Jahren kann in einigen Fällen die ergänzende Verordnung eines Medikaments indiziert sein. Dabei sollte die Indikation für eine medikamentöse Therapie äußerst gründlich und differenziert gestellt werden. „Wenn die Entwicklungskurve eines Kindes bedingt durch die ADS/ADHS nach unten zeigt, sollte mit einer medikamentösen Behandlung aber nicht zu lange gezögert werden“, rät Dr. Skrodzki.

Eine ADS/ADHS wird heute als eine neurobiologische Störung aufgefasst, die sich auf einem genetischen Hintergrund entwickelt. Bis heute wurden 14 Gene erkannt, die bei der Manifestation der Störung eine Rolle spielen können; von psychosozialen Faktoren wird die Ausprägung der Erkrankung bei bestehender Veranlagung modifiziert. Die therapeutische Rationale für eine Pharmakotherapie basiert auf nachgewiesenen Imbalancen im dopaminergen und noradrenergen System. Beide Systeme spielen bei der Steuerung von Aufmerksamkeit und Impulsivität eine zentrale Rolle.


Eltern meist selbst betroffen

Bei Kindern mit ADS/ADHS ist häufig mindestens ein Elternteil mitbetroffen. Für die Familien ist von großer Bedeutung, dass die Störung auch bei den Eltern erkannt und behandelt wird. Geschieht dies nicht, kann der Behandlungserfolg bei den Kindern fraglich sein, etwa weil das Elterntraining als zentraler Therapiebaustein versagt. Darüber hinaus besteht bei erwachsenen ADS/ADHS-Patienten das Problem, dass bei notwendiger Indikation die medikamentöse Therapie mit Methylphenidat (MPH) in Deutschland derzeit nur als Heilversuch durchgeführt werden kann, weil für Patienten im Alter über 18 Jahre dieses Medikament nicht zugelassen ist. Medikament der ersten Wahl für Kinder und Jugendliche mit ADS/ADHS ist das Psychostimulans MPH; als Alternative, z.B. bei MPH-Unverträglichkeit oder Therapieversagen, werden u. a. Amphetamin-Präparate eingesetzt. Die Zulassung des ersten Nicht-Stimulans zur ADS/ADHS-Therapie wird in Deutschland im Jahr 2005 erwartet. Bei der Substanz handelt es sich um den hochselektiven Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) Atomoxetin, der in vier randomisierten klinischen Studien eine hohe Wirksamkeit und gute Verträglichkeit zeigte. In den USA ist Atomoxetin zur Therapie von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit ADS/ADHS seit dem 26. November 2002 zugelassen.

Ein wichtiger Schritt zur engeren Kooperation der mit ADS/ADHS befassten Gruppen war die Verabschiedung eines gemeinsamen Eckpunktepapiers, in dem Vertreter der Kinder- und Jugendmedizin, der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, der Psychologie, weiterer Berufsgruppen und der Elternverbände den Behandlungsbedarf bei Kindern und Erwachsenen mit ADS/ADHS betonen. Die notwendige multimodale Diagnostik scheitert zum Teil an der Versorgungsrealität. Auch die Versorgungsstrukturen für therapiebegleitende Maßnahmen sind zu verbessern und die gezielte Fortbildung in allen Bereichen mit besonderer Priorität zu fördern. Ein allen Berufsgruppen zugängliches Basiswissen wird dabei als Grundlage für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit gesehen.

Kinder- und Jugendärzte haben bei der Versorgung von ADS/ADHS-Patienten eine Schlüsselstellung, weil sie ihre Patienten vom Kleinkindalter bis in das Jugendalter medizinisch betreuen. Auf dem Weg zu einer verbesserten Früherkennung und Versorgung von ADS/ADHS-Patienten ist daher auch ein erweitertes Fortbildungsangebot für pädiatrisch tätige Ärzte wichtig. Dazu sagte Dr. Klaus Skrodzki, Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin sowie Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft ADHS der Kinder- und Jugendärzte: „Durch gezielte Fortbildungsangebote wollen wir viele Kollegen dazu bewegen, sich noch stärker mit ADS/ADHS auseinander zu setzen, um im Umgang mit der Erkrankung noch sicherer zu werden“. Dabei soll die enge Zusammenarbeit der Kinder- und Jugendärzte mit den Kinder- und Jugendpsychiatern besonders gefördert werden, betonte Dr. Skrodzki bei einer Fortbildung für Pädiater im Rahmen der Tagung „ADS und Hochbegabung“ der Evangelischen Akademie Bad Boll.

Quelle: Pädiaterfortbildung „ADS/ADHS“ im Rahmen der Tagung „ADS und Hochbegabung“ der Evangelischen Akademie Bad Boll, am 22. Februar 2003 in Bad Boll, unterstützt von Lilly

 

   

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